Auflagenhöhe alter Bibel - eine Debatte

Ein Debattenbeitrag

Gerade in den letzten Jahren sind einige neue Bücher zur Geschichte des Bibeldruckes erschienen - etwa die beiden Bücher von Thomas Kaufmann zur Geschichte der Reformation und des Bibeldruckes sowie auch das von Bernd Kollmann verfasste Buch zur Bibel Martin Luthers. Nicht zu reden von den Beiträgen der diversen Lutherstiftungen.
Dabei wird eine Frage sehr kontrovers diskutiert; jene der Auflagenhöhe. Etliche Experten gehen, ausgehend von den Schätzungen eines Lüneburger Forschers, von einer sehr hohen Auflage aus (fast immer 3000 Stück pro Buch und Auflage). Sie haben dabei vor allem die durchaus leistungsfähigen Maschinen in den diversen Druckerwerkstätten (Offizin) im Blick. Weniger im Blick haben diese Experten, dass nicht alles was technisch machbar war auch gemacht wurde. Alleine die Zunftgesetze und die vielen kirchlichen Feiertage an denen arbeitsfrei war, haben dazu beigetragen, dass die Effizienz des Möglichen praktisch nirgends erreicht wurde.




Luthers Biblia 1534 – ein mehrfacher Blick auf ein erstaunliches Buch

Ich wage die Behauptung, dass praktisch jeder erwachsene Deutsche eine ungefähre Vorstellung davon hat, was eine Lutherbibel ist. Darüber wird ebenso weitgehende Einigung bestehen, wie auch darüber, dass auf Luther vor allem anderen als Bibelübersetzer der Bibel aus den Ursprachen gesehen wird. Wenn man die Lutherbibel dann auch als alt bezeichnet oder gar mit einer konkreten Jahreszahl ergänzt – wahlweise etwa 1522 oder 1534 – wird sich die Vorstellung konkretisieren. Dass so ein Stück Buch ungeheuer wertvoll sein muss, weiß eine breite Öffentlichkeit spätestens seit dem Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar als der Bibliotheksleiter 2004 buchstäblich sein Leben riskierte, durch das lichterloh brennende zweite Stockwerk rannte, um das vielleicht nicht pekuniär, aber sicherlich emotional wertvollste Stück des Bestandes zu retten: eine Lutherbibel von 1534. Diese zu Luthers Lebzeiten immer wieder nachgedruckte und revidierte Bibel gipfelte in der Ausgabe „letzter Hand“ von 1545. Das ist Wissen, so banal, dass es auch auf Wikipedia abzurufen ist. Dass Luther auch noch die Bibelausgabe von 1546 mitbetreute, mit deren Druck im Februar begonnen wurde, ist schon viel weniger bekannt. Und dass Hans Lufft bis 1550 unverdrossen neue Bibeln mit dem Titelblatt von 1545 nachdruckte („letzte Hand“), um Autorität und Marktwert und letztlich seinen Umsatz zu erhöhen, weiß meist nur mehr der informierte Sammler, der die wenigen Angebote von Luther 1545er Bibeln daher ganz besonders genau prüft.
Historisch gut Informierte werden die Jahreszahlen 1522 und 1534 als Beginn und Höhepunkt der ersten Wittenberger Bibeldrucke kennen. Sie werden wissen, dass der ganz eigene Charakter der Lutherbibel über das Schriftbild hinausgeht und auch in der Illustration zu suchen ist. Sie wissen, dass die 20 Bildinitialen und die 117 Textbilder Teil eines einheitlichen, neu für die Ausgabe 1534 gestalteten, Bildschmuckes sind. Sie stammen von einem Künstler, der uns nur als Illustrator mit dem Monogramm M.S. überliefert ist.
Digitalisiert sind die schönsten Ausgaben der Lutherbibel heute für jedermann zugänglich , was nicht nur den Sammler freut, sondern auch die kunsthistorisch Forschenden und auch die Provenienzforschung sehr erleichtert.
Der deutsche Bibeldruck ist mit dem Ort Wittenberg, der bestimmenden Stadt der frühen Reformation, und mit den beiden Druckern Melchior Lotter und Hans Lufft untrennbar verbunden. Und natürlich mit Luther und seinem kongenialen Übersetzerkollegium. Heute blickt man aus verschiedenen Blickwinkeln auf die damaligen Leistungen. Es ist empirisch aber auch auf einer zeitlichen Ebene ein gewaltiger Unterschied, ob dies Historiker, Kunsthistoriker, Theologen, oder Sammler tun. Die Historikerzunft, zumindest jener Teil von ihnen, der nach dem Zweiten Weltkrieg nicht kompromittiert war, beschäftigte sich zuerst mit der Aufarbeitung der Katastrophe von Auschwitz und überließ viele andere Themen der zweiten Reihe, so auch das Feld der Lutherforschung und der Bibeldrucke, oftmals anderen. Jene Historiker aber, die sich früh mit den Bibeldrucken aus Wittenberg beschäftigen, waren hingegen oftmals ehemalige Nationalsozialisten, die sich publizistisch nun wieder unverdächtigeren Forschungsthemen zuwenden wollten – Hans Volz ist hier das beste Beispiel. Ihm verdanken wir unter anderem erste (hohe!) Schätzungen über die Anzahl der Wittenberger Drucke. Die Zahl der zu Lebzeiten erschienen Bibeln und Bibelteile schätzt Volz – immer die maximal mögliche Auslastung der Wittenberger Druckereien annehmend – auf 500.000 Exemplare. Von der ganzen Bibel „[…] soll alleine der Wittenberger Buchdrucker Hans Lufft in fünfzig Jahren etwa 100.000 Exemplare verkauft haben.“ Diese Zahlen werden bis heute weitgehend unwidersprochen tradiert und andere, wie Heimo Reinitzer, haben sich darauf berufen. Das ist für uns Sammler folgenschwerer als ein zweites aktuelles Forschungsfeld, das sich mit der Frage der Leistung von Luthers Bibelverdeutschung an sich auseinandersetzt. Der Gedanke der Bibelübersetzung, ja die Sprachfindung des Deutschen als singulär auf Luther zulaufendes Ereignis; eine Entwicklung, die ohne Luther denkunmöglich erscheint, dieses Bild blieb bis in die jüngste Zeit im Wesentlichen ohne Widerspruch. Hier gehört das Feld vor allem den Sprachexperten und den Kunsthistorikern. Ganz folgenlos ist dieses Forschungsfeld aber für den Sammler auch nicht. Luthers jahrhundertelang wenig umstrittene Übersetzung fand ihre Kunden in einfachen Menschen, die, so ein wirkungsmächtiges Bild, anhand der Bibel oder einzelner ihrer Teile das Lesen lernten. Was die Bibel zum Verkaufsschlager machte und die erwähnten gewaltigen Auflagezahlen erklärt. Einspruch gegen solche Lesarten regte sich lange nicht. Und wenn, dann von ostdeutscher Seite. Die vermehrte Aufmerksamkeit im Zuge des Lutherjahres 1983 führt auch zu entsprechenden Publikationen aus der DDR. Breite Betonung fand hier die Knechtschaft der Bauern und ihre breite Leseunfähigkeit, die Luther, ganz im Sinne des historischen Materialismus, aufgebrochen hat.
Immer wieder wird die Lutherbibel von einem Wittenberger Redaktionsteam um Luther überarbeitet und auch an den letzten beiden noch zu Lebzeiten Luthers begonnenen Ausgaben hat der Reformator mitgewirkt. Nach 1546, so die populäre Fama, bleibt Luthers Bibel über Jahrhunderte praktisch unverändert, der Respekt für den Reformator wirkte nach. Nur so konnte sich das Lutherdeutsch in der Bevölkerung wirklich durchsetzen und verfestigen. Soweit eine – sehr geraffte – Darstellung vermeintlichen Wissens über Luther und sein Übersetzungswerk. Alle diese Darstellungen haben eines gemeinsam: Sie werden in jüngerer Zeit zunehmend angezweifelt und in Frage gestellt. Hier wäre nun eine Zusammenarbeit einer jüngeren Forschergeneration mit den wenigen, aber hochspezialisierten Bibelsammlern wünschenswert und fruchtbringend. Leider ist die Schnittmenge zwischen der universitär angesiedelten historischen, etymologischen und biografischen Lutherforschung mit jener der spezialisierten Bibelsammler recht überschaubar. Man sieht sie nur fallweise, wenn etwa große private Sammlungen einer Universität zufallen (so geschehen etwa mit der Remy-Sammlung 2010), oder wenn kleinere Sammler Anfragen zu Alter und Wert an die Institutionen richten. Für den süd- und mitteldeutschen Raum ist das beispielhaft sehr häufig die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart (WLB). Mit ihren online verfügbaren Hilfsmitteln, Tabellen und Übersichten stellt sie dem privaten Sammler manch wertvolle Hilfe zur Verfügung. Ein echter wechselseitiger forscherisch bedingter Austausch findet aber weder hier noch dort statt. Es sind dies alles Top-to-Bottom Prozesse, die wenig Erkenntnisgewinn bringen. Am ehesten gibt es diesen Gewinn noch dort, wo der finanzstarke Bibelsammler am freien Sammlermarkt auf spezialisierte Auktionshäuser trifft, deren Schwerpunkt der Verkauf alter Bücher, häufig der Bibel und manchmal der Lutherbibel ist. Abseits grundlegender akademischer Herangehensweisen lässt der freie Markt, lässt der Faktor Geld, Fragestellungen zu, die auch für die Beantwortung virulenter Forschungsfragen interessant scheinen. So wissen Sammler längst, dass die offenbar gigantischen Auflagezahlen der Lutherbibel keine Entsprechung im historischen oder gar gegenwärtigen Martkwert dieser Bücher finden. Lassen Sie mich das an einem Beispiel durchdeklinieren. Die Luther Bibel erlebte bis zu Luthers Tod 13 Auflagen der Lufft Druckerei – drei davon auf niederdeutsch. Hans Volz nimmt an (und die meistens wurde diese Argumentation übernommen), dass Luffts Wittenberger Druckerei eine Auflage von 3000-5000 Stück zuließ. Kontrastieren wir das mit der katholischen Dietenberger Bibel . Ein ähnlich gestaltetes Werk mit prachtvollen Illustrationen von Anton Woensam und Hans Sebald Beham. Die erste Ausgabe der Dietenberger Bibel erschien sogar ein halbes Jahr vor Luthers Vollbibel bereits in der ersten Jahreshälfte 1534. Sie war in Großfolio gehalten und damit wesentlich größer als die Lutherbibel 1534. Zu Lebzeiten Luthers erschien von der Dietenberger Bibel nur eine zweite Auflage (1540). Peter Jordan hatte in Mainz (wo die erste Auslage entstand) durchaus ein leistungsfähiges Offizin zur Verfügung, ebenso Peter Quentel, der katholische Drucker in Köln, der die 2. Ausgabe besorgte. Aber auch wenn er mit drei Pressen, vier Druckern und 12 Gesellen arbeitete, so reichte diese Leistung doch nicht über Luffts Offizin oder die seiner Nachfolger hinaus. Ganz im Gegenteil. Stefan Oehmig nennt für die Stadt Wittenberg im 16. Jahrhundert unglaubliche 38 selbständige Drucker und kontrastiert diese Zahl mit Wien – immerhin zwanzigmal so groß wie Wittenberg – mit 30 Druckern. Lassen wir beiseite, dass die kriegerischen Handlungen im 17. und 18. Jahrhundert die evangelischen Bibeln etwas stärker betroffen haben könnten als die katholischen. Lassen wir beiseite, dass die Nachfrage nach Lufft Bibeln zu Luthers Zeit höher gewesen sein muss als die (von der Obrigkeit oft misstrauisch beäugte) Lektüre einer Dietenberger Bibel in katholischen Landen. Was bleibt, sind Auflagenhöhen (bis 1546) von wohl weniger als jeweils 5000 Stück für die beiden ersten Ausgaben der Dietenberger Bibel und einer zeitgleiche Auflage von etwa 40.000 Stück für die Lutherbibeln aus Wittenberg. Nach Luthers Tod ging die Schere bei den Auflagen dann noch weiter auf. Wurde die Lutherbibel doch ab Mitte des Jahrhunderts auch in hoher Zahl in Jena und noch erfolgreicher in Frankfurt nachgedruckt und das bei dem weiter bestehendem Offizin Luffts in Wittenberg (bis 1583). Die katholische Bibel als Druckereignis blieb – grob gesprochen – im 16. Jahrhundert weitgehend auf die Dietenberger Bibel beschränkt. Nach all dem Gesagten müsste nun im Spiegel marktwirtschaftlicher Überlegungen eine Dietenberger Bibel heute den Wert einer Lutherbibel exponentiell übersteigen. Wie Sammler aber aus ihrer Tätigkeit wissen, ist das nicht der Fall. Hier einige Beispiele aus der Praxis: Eine Dietenberger 1540 im üblichen altersgemäßen Zustand erreichte 2016 im Auktionshaus Ketterer Hamburg 1800 Euro , die Erstausgabe im erstklassigen Zustand knackte in den letzten zwei Jahrzehnten selten die 4000 Euro Marke und im deutschsprachigen Raum und ohne Altkolorit nur einmal die 5000 Euro Grenze. Sie ist auch recht häufig zu finden. Alleine seit 2000 wurde die Dietenberger Erstausgabe bei den größeren deutschen Auktionshäusern achtmal angeboten! Im selben Zeitraum haben die großen Auktionshäuser die Erstausgabe aus Wittenberg nie angeboten, die 1535er Ausgabe ist bei Auktionshäusern in dieser Zeit nur zweimal aufgetaucht. Eine weitere Vollbibel von 1535 wurde 2015 in Österreich angeboten und scheint daher im JAP nicht auf. Das einzige wirklich vollständige Exemplar dieser Zweitausgaben erlöste 24.000 EUR! Auch wenn es natürlich einen lebendigen privaten Sammlermarkt gibt und die frühen deutschen Luther Bibeln, welche aus dem angelsächsischen Raum nach Europa zurückverkauft werden, hier nicht berücksichtigt sind, ist die Tendenz klar: Luther Bibeln erlösen einfach mehr. Merkwürdigerweise schwächt sich der Effekt auch über die Zeit nicht ab. Auch eine Luther Bibel, gedruckt nach dem Tod des Reformators, ist viel wert. 2012 wurde im Auktionshaus Ketterer eine (wenngleich altkolorierte) Lutherbibel von 1547 um 34.800 € versteigert. Lutherbibeln der 1560er und 70er Jahre gedruckt in Jena oder Frankfurt erbringen fast immer mehr als die zeitgleich erschienenen vierte bis zehnte Folioauflagen der Dietenberger Bibel (1556-1575).
Aus dem Gesagten ergibt sich für den Sammler schon aus der Erfahrungswirklichkeit heraus, dass die propagierten hohen Druckzahlen der Lutherbibeln der Reformationszeit mit gebotener Skepsis zu betrachten sind. Und tatsächlich versucht eine junge Forschergeneration seit einigen Jahren die gängigen, aber in sich nicht schlüssigen Auflagenstärken, die eine vorangehende Forschergeneration in die Diskussion brachte, zu hinterfragen. Thomas Fuchs versuchte 2014 eine Antwort. So seien die hohen Druckzahlen auch ein Beweis für eine zunehmende Überproduktion. Spätestens seit Mitte des 16. Jahrhunderts, so Fuchs, produzierten die Bibeldrucker am Markt vorbei. Drucker und Verleger setzten unverkaufte Exemplare im Tauschhandel wie Geld ein – wichtig war nicht der innere Wert sondern die Papierqualität. Dass die Produzenten den schwächelnden Bibelverkauf teilweise über niedrigere Materialkosten aufzufangen versuchten, weiß auch jeder beschlagene Bibelsammler: Die Papierqualität wird ab etwa 1550 deutlich schlechter. Jeder Sammler kann das praktisch bestätigen. Wo Volz noch blühende Druckerlandschaften sah, sieht Fuchs nur eine kurze ökonomisch prosperierende Phase des Buch- und Bibeldrucks, und die auch nur bei Druckern, die das Verlags- und Messewesen mitbestimmen konnten. Als Sammler muss man aufgrund des Gesagten annehmen, dass große Teile der nicht verkauften Lagen des Überbestandes wieder eingestampft und wiederverarbeitet wurden. Anders kann man den heute bestehenden Kontrast nicht erklären. Gleichzeitig muss man davon ausgehen, dass mit dem Bestand katholischer Bibeldrucke nicht gleichermaßen verfahren wurde und diese sehr wohl ihre Kunden fanden. Auch die Intensität des Gebrauchs und der daher oft beobachtbare deutlich schlechtere Zustand der alten reformatorischen Bibeln des 16. Jahrhunderts gegenüber den katholischen Ausgaben sind interessant. Hier kann der Sammler dem Historiker wieder ganz praktisch weiterhelfen. Evangelische Bibeln sind in aller Regel bis ins 17. Jahrhundert hinein zerlesen, vielfach unterstrichen. Es sind sehr oft Arbeitsbibeln, Anmerkungen sind häufig. Wenn so viel mehr Lutherbibeln gedruckt worden sind, so dürften diese doch nicht so viel zerlesener sein als die meisten alten katholischen Bibeln!
Dass das Feuer der Reformation hell brannte, erweist sich für das 16. Jahrhundert als wahr. Bis 1580 gedruckte Lutherbibeln ohne zumindest vereinzelte Anmerkungen im Römer- oder Galaterbrief sind eine Ausnahme. Gleiches finden wir Sammler für die deutschen katholischen Bibeln selten, sehr wohl aber in den lateinischen Gelehrtenbibeln, wie sie an den katholischen Universitäten benützt werden. Bereits ohne weiteres Wissen, kann der Sammler hier auf die aufkommende katholische Reaktion schließen. Das langsame Ermatten und das zunehmende Fehlen handschriftlicher Einträge und Ergänzungen zum inneren Schriftbild der Lutherbibel, das der Sammler bei Bibeln des 17. Jahrhunderts feststellt, findet seine historische Entsprechung im beginnenden Pietismus. Das und sicherlich noch einiges mehr kann der Sammler aus seinen Bibeln schließen.
Wenn man die heutige oben skizzierte preisliche Ausdifferenzierung von katholischen und reformatorischen Bibeln bedenkt, kommt man als Sammler expressis verbis nur zu einem Schluss: Sollten die hohen Auflagezahlen der Lutherbibel für das 16. Jahrhundert stimmen, wovon bis zum Beweis des Gegenteils auszugehen ist, dann müssen große Teile der gedruckten Lutherbibeln des 16. Jahrhunderts als Makulatur eingestampft worden sein. Und gleichzeitig müssen wir annehmen, dass dies bei den katholischen Bibeln eben nicht der Fall war. Diese Aussage kann der aufmerksame Sammler aufgrund der stringenten Marktlage der Gegenwart treffen. Ebenso kann jeder Sammler die Forschungsfrage, ob und in welchem Ausmaß in den Wortlaut der Lutherbibel im 16. Jahrhundert eingegriffen wurde, beantworten. Der Vergleich des Anmerkungsapparates der Wittenberger Vollbibel der 1560er Jahre mit den zeitgleich erscheinenden Frankfurter Erzeugnissen wäre als Forschungsfeld wie geschaffen dafür, von einem engagierten Sammler auf Kongruenzen und Abweichungen durchgesehen zu werden. All das sind spannende Forschungsansätze, in die sich der engagierte Sammler auch als historischer Laie einbringen kann. Das Sammeln von Bibeln ist meist eine Lebensaufgabe. Daher kann der Sammler bei vielem, was sich heute als Forschungsfrage auftut („Ohne Buchdruck keine Reformation?“ „Luthers Übersetzung als Diebstahl am Judentum?“), ruhig bleiben. In der Frage etwa nach dem „Wert“ der Übersetzung Luthers muss der Sammler nicht urteilen, das sollen andere tun. Der Sammler weiß, dass solche Fragestellungen Töchter der Zeit sind. Anders als „seine“ Bibeln, jede ein Unikat, die mit 400 oder 500 Jahren so zeitlos erscheinen. Sammler alter Bücher – und das Bibelsammeln ist letztlich nur eine spannende Sonderform davon – verfügen durchaus über die Kompetenz, wissenschaftliche Forschungsfragen zu begleiten. Man müsste diese Experten nur verstärkt hören.

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Eichsteininger Hannes